© Hans Op de Beeck © eSeL.at

Interview mit Hans Op de Beeck

Der belgische Medien-Künstler Hans Op de Beeck beantwortet Fragen zur von ihm persönlich choreografierten Ausstellung The Cliff. Erfahren Sie hier mehr zu den Hintergründen der Ausstellung.

 

Wann haben Sie begonnen, sich mit Kunst zu beschäftigen?

 

Schon als Teenager war ich andauernd am Zeichnen von Cartoons und Comics. Zeichnen war für mich so selbstverständlich wie atmen. Ich war das etwas nerdige Kind, das in der Schule nicht mit den anderen Jungs Fußball spielte, sondern lieber drinblieb und Comics las. Dort liegen die Wurzeln meiner Faszination für das Bild, lang bevor ich etwas von der Welt der bildenden Kunst und der Kunstgeschichte ganz zu schweigen von zeitgenössischer Kunst, wusste.

 

Die Ausstellung in Krems umfasst ein breites Spektrum Ihres Schaffens: Skulptur, Video und Malerei.

 

Seit meinem Studium-Abschluss habe ich in Einzelausstellungen immer unterschiedliche Medien kombiniert, das ist etwas Organisches und Intuitives und nicht so sehr Rationales. Ich versuche eine Einzelausstellung wie eine Wanderung durch eine sich entwickelnde Landschaft zu konzipieren, ein Gesamterlebnis, bei dem Sinne und Verstand auf verschiedene Weisen angeregt werden.

 

Wie spielen diese unterschiedlichen Aspekte in der Kunsthalle Krems zusammen?

 

Ich beginne mit einer skulpturalen Installation, die eine traumartige Stimmung von Stille, Ruhe und Mysterium hervorruft. Diese Stimmung bereitet auf die darauf folgende relativ breite Auswahl von Videos vor. Von dort führt die Ausstellung wieder in einen physischen Teil mit mehreren großen und kleinen Skulpturen von fiktiven Orten, disproportionalen Objekten und lebensgroßen Figuren. Die Betrachter/innen werden mit einer Welt erstarrter, versteinerter Posen und Objekte konfrontiert. Danach folgt wieder ein Wechsel in Räume mit großen Aquarellen von fiktiven Landschaften. Am Schluss betritt man die Zentrale Halle, in der eine neue, in ihrer Erscheinung massive skulpturale Arbeit einer lebensgroßen Landschaft mit zwei Teenagern gezeigt wird. Die sinnlichen Aspekte der Filme und Aquarelle und die taktile Erscheinung der Skulpturen sind mir sehr wichtig. Ich hoffe, dass, wenn man den evozierten geistigen Raum der Ausstellung verlässt, man die Welt draußen für eine Weile mit anderen Augen sieht, wie wenn man ein gutes Buch gelesen oder einen Film gesehen hat, der einen bewegt.

 

Ein Teil Ihrer Arbeit sind detailreiche skulpturale Interieurs. In Krems zeigen Sie Christmas (2006), ein Wohnzimmer am Weihnachtsabend. Wie kann man sich den Entstehungsprozess solcher Environments vorstellen?

 

In dieser Arbeit baute ich ein Wohnzimmer in Originalgröße auf und bildete genau den Teil des Hauses ab, in dem wir in Westeuropa unser Weihnachtsritual inszenieren. Der Christbaum steht da, alle Geschenke sind fein säuberlich zu einem Stillleben arrangiert, das Zimmer ist picobello sauber. Aber dieses hübsche und unschuldige Setting, plastisch geformt aus Holz und anderen Materialien wie Styropor und Metall, ist einfarbig mit schwarzem Metallic-Autolack übersprüht. Dadurch wird die ganze Szene dunkel, düster und verfremdet. Das Zuhause ist oft ein Ort von Streit, Trauma, Missbrauch, Verbrechen. Diese sehr doppelbödige Szene erzählt von der Wahrung des Scheins und dem Festhalten an Familientraditionen. Schon nachdem meine Assistent/innen und ich ein paar Wochen daran gearbeitet haben, traf ich die Entscheidung, schwarz zu lackieren. In diesem Sinne bin ich kein Konzeptkünstler, der im Vorhinein exakt festlegt, wie eine Arbeit am Ende aussieht. Die meisten Entscheidungen, die für den Inhalt der Arbeit wesentlich sind, treffe ich beim Arbeiten. Genau genommen bin ich ein Atelierkünstler. Das Geschaffene entwickelt sich während des Herstellungsprozesses immer – und manchmal drastisch – weiter.

 

Ihre Figuren halten meistens ihre Augen geschlossen, sind in sich gekehrt. Ihre neue, titelgebende Installation The Cliff (2019) – erstmals in der Kunsthalle Krems zu sehen – zeigt ein Liebespaar auf einer Klippe. Wir können zum ersten Mal in die Augen Ihrer Figuren blicken. Wie kamen Sie zu dieser Entscheidung?

 

Erst seit ein paar Jahren traue ich mich auch, Menschen plastisch darzustellen. Das ist extrem knifflig, da die Falschheit einer menschlichen Skulptur immer sehr offensichtlich ist, während es nach meiner – natürlich höchst subjektiven – Ansicht für Betrachter/innen leichter ist, in fiktionalen verlassenen, menschenleeren Städten, Naturlandschaften oder Innenräumen authentische Emotionen zu finden. Nachdem ich viele Skulpturen von Menschen mit geschlossenen Augen gemacht hatte, fand ich, es wäre mehr als nur interessant, Skulpturen von Menschen mit geöffneten Augen zu machen. Dabei kommt man dem eingefrorenen Moment der Fotografie oder des Film Stills nahe, wo ein Blick nur eine Sache von Sekunden ist. In The Cliff beobachten wir ein Teenagerpärchen, beide im Alter von 14 Jahren, die händchenhaltend auf einer schroffen Felsenklippe sitzen. Er sieht sie an, und sie blickt in Richtung Horizont, als wäre es ein zur Skulptur erstarrter Kinofilmmoment. Ich wollte die Betrachter/innen einladen, um diesen angehaltenen Moment herumzugehen, als wären ihre Augen die Kamera in einem Schwarz-Weiß-Film. Für die Figuren bleiben wir allerdings vollkommen abwesend, da sie uns keines Blickes würdigen.

 

Alle Skulpturen der Ausstellung in Krems sind grau. Welche Bedeutung hat Farbe bzw. das Fehlen von Farbe in Ihrer Kunst?

 

An einem Punkt meines Schaffens entdeckte ich meine eigene Art von Grau, das Skulpturen, Interieurs oder Landschaften aussehen lässt, als wären sie aus Stein oder gefärbtem Gips. Dieser versteinerte Anblick lässt einen an Pompeji denken: in der Zeit erstarrtes Leben sozusagen. Ich stellte fest, dass die graue Beschichtung, die ich fast zufällig erfunden hatte, eine fast samtige Textur hat, die das Licht sehr sanft reflektiert. Meiner Ansicht nach gibt das dem Abgebildeten eine spezielle Aura, eine weiche Haut, die die figürlichen Formen in eine stille Parallelwelt abstrahiert. Das Fehlen von Farbe legt den Fokus auf das Licht. In meiner Arbeit ist das Licht und wie es reflektiert und belebt, von extremer Wichtigkeit, da es, unabhängig vom Medium, die Stimmung eines Bildes total bestimmt und verdeutlicht.

 

Seit 2009 arbeiten Sie zumeist in der Nacht an großformatigen Aquarellen in Schwarz-Weiß. Wie kam es dazu, dass Sie in der Nacht malen?

 

Wenn ich um acht Uhr abends oder so zu malen anfange, wenn meine Assistent/innen gegangen sind und das Ateliergebäude leer ist, finde ich die Stille und Konzentration zum Malen. Die meisten meiner Aquarelle sind fast drei Meter breit. Man muss Schicht um Schicht daran arbeiten, mit Zeiten dazwischen, in denen das Papier trocknen muss. Idealerweise arbeite ich an einem Aquarell zwölf Stunden ohne Pause. Gegen acht Uhr früh ist das Aquarell dann im Wesentlichen schon fertig. Bei den meisten Bildern brauche ich dann noch ein, zwei zusätzliche Nächte, um sie bis ins Detail fertigzustellen. Aus irgendeinem Grund hilft mir die Nacht dabei, den Ton für jedes Aquarell festzulegen. Vermutlich ist das romantischer Unsinn, aber mir erscheint die Nacht als der bestmögliche Zeitpunkt, solche Werke zu schaffen, die inhaltlich ja alle eine Nachtstimmung haben.

 

Aquarelle verwenden Sie auch für den Film Night Time (2015). Woher kommt Ihre Faszination für das Dunkle und Düstere der Nacht?

 

Ich liebe die Ahnung von potenzieller Entgleisung, von Situationen, die in etwas anderes umschlagen können, die Vorstellung, dass irgendwas eben passiert ist oder gleich passiert, dass Orte Schichten und Spuren von Dramen und Konflikten tragen und dennoch zugleich ruhig und friedlich erscheinen.

 

Welche Filmemacher/innen oder Genres finden Sie interessant?

 

Ich bewundere die Arbeit der Coen-Brüder; das ist echtes Autorenkino und beinhaltet außerdem ein großartiges tragikomisches Verständnis des Lebens; Handlung, Kamera und Tempo ergeben in ihren Arbeiten eine meisterhafte Mischung. Ich mag auch Filme wie die älteren von Hitchcock, weil man die Studioinszenierung spürt, die zeitweise theatralisch ruhig, langsam und ziemlich statisch ist. Oder die reine visuelle Schönheit der Filme von Wes Anderson.

 

Das Konzept der „Bühne“ scheint sich wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Medien in Ihrem Schaffen zu ziehen. Welche Bedeutung haben Bühnen für Sie?

 

Wenn man direkt zeigt, dass das Bild oder die Geschichte, ob Film, Installation, Malerei oder Theaterstück, inszeniert ist, dann ist die Inszenierung kein Thema mehr und man kann die Zuschauer/innen extrem empfänglich für das Bild oder die Erzählung machen. Wenn man mit größter Mühe versucht, die Konstruktion hinter dem Bild zu verbergen, wird es paradoxerweise noch künstlicher und falscher. Wenn man eine meiner groß angelegten immersiven Installationen betritt oder einen Film aus meiner Serie Staging Silence ansieht, weiß man zu jeder Zeit, dass es nur eine Konstruktion ist. Und doch kann die Konstruktion authentische Erlebnisse liefern. Sie enthält dann beide Seiten: die echte Erfahrung des Versetzt-Werdens in ein Paralleluniversum und das Verständnis, dass es ist, was es ist, eine Konstruktion. Das gibt einem die Möglichkeit, die Dinge wieder geradezurücken und auf reflektierende Distanz zu gehen.

 

Womit essen Sie Ihre Waffeln am liebsten?

 

Ich mag belgische Waffeln mit Erdbeeren. Nur zur Erdbeerzeit natürlich (lacht).

 

Rahmenprogramm zur Ausstellung

Bildcredits: 
Hans Op de Beeck © esel.at

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