© Foto: Marius Lacroix

Interview mit Künstlerin Perrine Lacroix

Die aus Lyon stammende Künstlerin Perrine Lacroix schildert Eindrücke von ihrem Aufenthalt in Krems im Frühjahr 2017 im Rahmen ihres AIR - ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich Stipendiums und gibt erste Einblicke in ihre Ausstellung Kontext(e) in der Kunsthalle Krems (25.11.2018–10.02.2019).

Sie waren im April 2017 als Artist in Residence zu Gast in Krems. Wie war diese Erfahrung für Sie?

Ich möchte betonen, wie wichtig es war, dass diese Residency ohne verbindliches Endergebnis möglich war. Das ist außergewöhnlich und kostbar. Auch wenn es schwindelerregend sein kann, ermöglicht die simple Tatsache, in seinen Gedanken und Handlungen ohne Einschränkungen frei zu sein, einen viel unmittelbareren Zugang zu sich selbst sowie zum Ort und seinem Kontext.

Am 24.11.2018 eröffnet nun Ihre Ausstellung mit dem Titel Kontext(e) in der Kunsthalle Krems. Welche Eindrücke von Ihrem Aufenthalt letztes Jahr sind in diese Ausstellung eingeflossen?

Das Museum Krems, ein Glasurmuster einer alten Kremser Keramikfabrik, die Venus vom Galgenberg,… . Die Donau ist sehr stark präsent, groß und friedlich, dumpf, bedrohlich und mit Geschichte geladen. Ich war inspiriert von den bemalten Mauern in der Stadt und innerhalb der Gebäude, Kirchen und Museen [Anm.: Auf einigen Fassaden und Innenwänden in Krems sind die Konturen von Ziegelsteinen gemalt.]. Ich war natürlich fasziniert vom Gefängnis, von seiner Lage mitten im Zentrum und von seiner gewaltigen Größe. Die Studios von AIR - ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich befinden sich gegenüber und die Kunsthalle Krems ist mit ihm verknüpft. Es ist wie ein stummer Tresor, ein massives und verbotenes Objekt. Man hört und sieht niemanden, obwohl es Leben, menschliche Existenzen beherbergt.

Sie haben für eine Arbeit die sogenannte „Kremser Hasenjagd“ thematisiert, bei der am 06.04.1945 freigelassene politische Gefangene aus der Justizanstalt Stein gejagt und ermordet wurden.

Ich habe von diesem Ereignis erst am Ende meiner Residency erfahren, während eines Gesprächs mit Sabine Güldenfuß, der Projektleiterin von AIR - ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich. Bevor das Denkmal am Friedhof in Hadersdorf am Kamp 2009 errichtet wurde, gab es – trotz Insistierens seitens der Familien – nichts, was der Opfer gedachte. Der einzige Ort der Erinnerung, der ihnen gewidmet wurde, war ein virtueller Raum, eine Internetseite, welche von einem Nachfahren entwickelt wurde. Diese Geschichte lässt einen nicht unberührt, weil sie auf drei Ebenen die Freiheit beeinträchtigt: Erstens haben die meisten Insassen keine großen Delikte begangen, außer ihre Familien oder Ideen zu verteidigen. Zweitens wurden sie umgebracht, nachdem man sie freiließ. Und die dritte Ungerechtigkeit war, dass eine Erinnerung innerhalb all dieser Jahre unmöglich gemacht wurde.

Auf dieses tragische Ereignis nehmen Sie in einer Installation mit monochromen Farbenflächen Bezug. Basis hierfür waren die Bild-Ergebnisse, als Sie im Internet nach dem Datum „06.04.1945“ suchten. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Google-Bildersuche zum Thema einer künstlerischen Arbeit zu machen?

Heutzutage recherchiert man viel leichter auf Google als in einer Bibliothek. Wir haben überhaupt nicht mehr denselben Zugang zu Informationen und zur Geschichte. Die Algorithmen, die uns steuern, entscheiden die Anordnung und die Wahl der Daten, die uns zur Verfügung gestellt werden. Wir sind Konsument/innen einer dirigistischen Denkweise, der es gefällt, uns glauben zu lassen, dass wir die Lage kontrollieren.

Sie haben auch die Kunsthalle Krems während ihrer Sanierung 2017 fotografiert. Welche ästhetische Qualität hatten die leeren Räume der Baustelle für Sie?

Der Raum als Baustelle, der Raum im Entstehen als Prämisse für künstlerische Versprechungen, ist für sich bereits eine Ausstellung. Die frisch gestrichenen Wände erscheinen wie Wandmalereien, die Stehleitern wie Skulpturen, der Gipsstaub wirkt wie ein Nebelschleier, das Baugerüst wie eine Installation. Allein ihre Gegenwart in einem musealen Umfeld verleiht den Gegenständen Werkcharakter. In Ermangelung eines Kunstwerks wird das Ganze zum Werk und gibt Anlass zum Nachdenken über den Einfluss des Raumes und das Ins-Werk-Setzen des Werkes, das auf den Kontext reagiert, dem es innewohnt und der ihm innewohnt.

Was ist Ihnen während Ihres Artist in Residence Aufenthalts in Krems besonders in Erinnerung geblieben?

Ich war von der Venus vom Galgenberg, ihrer Größe, ihrer Feinheit, ihrem Ausdruck hingerissen. Zu wissen, dass sie der Ursprung der Skulptur ist, eine der ersten menschlichen Darstellungen – offensichtlich weiblich und scheinbar tanzend – eine Darstellung des Körpers. Ich habe es geliebt, an der Donau bis Melk mit dem Boot und zurück mit dem Rad zu fahren – es ist eine eindringliche Reise durch die Landschaft. Ich nahm am überwältigen Konzert „Kathedrale der Träume“ von La Monte Young und Marian Zazeela beim Osterfestival Imago Dei im Klangraum Krems Minoritenkirche teil. Ich bin begeistert von der kulturellen Vielfalt und Qualität, die diese Stadt zu bieten hat.

Haben Sie in Krems einen Lieblingsplatz entdeckt?

Die Weinberge oberhalb von Stein, die über die Stadt und die Donau hinabblicken.

In Krems werden Sie am 07.11.2018 auch einen „Kunst trifft…“-Workshop für Erwachsene leiten. Was erwartet die Teilnehmer/innen des Workshops?

Zum Gedenken an die Widerstandskämpfer/innen von 1945 beschäftigen wir uns mit aktuellen Konzepten von Widerstand und beschriften und bemalen Schilder, die dann integrative Bestandteile der Ausstellung werden. Am Eröffnungstag können alle, die wollen, an einer Performance / Demonstration teilnehmen, die von der bemalten Mauer im Stadtpark bis zu den Ausstellungsräumen der Kunsthalle Krems stattfinden wird.

Welchen Stellenwert hat Kunstvermittlung für Sie als Künstlerin?

Ich habe eine Kunst-Werkstatt für Kinder mitgegründet und 22 Jahre lang geleitet. Ich bin von der Relevanz der Kunstvermittlung überzeugt. Sie hilft einem nicht nur, die Augen zu öffnen und zu unterschiedlichen Verständnissen und Erkenntnissen über unsere Welt zu gelangen, sondern vor allem lädt sie dazu ein, neugierig und tolerant zu sein. Es ist für mich eine politische Vorgehensweise.

(übersetzt aus dem Französischen)

 

PERRINE LACROIX. KONTEXT(E)
KUNSTHALLE KREMS
25.11.2018–10.02.2019

In Kooperation mit

AIR - ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich Lafayette Anticipations Institut Francais + Ville de Lyon



Bildcredits: © Marius Lacroix

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